Alle Erfahrungen zur Ducati Multistrada V4 RS
Letztes Wochenende ergab sich endlich die Gelegenheit, eine Ducati Multistrada V4 RS zur Probe zu fahren.
Hintergrund:
Ich habe selbst einen massiv umgebaute und somit massgeschneiderte Ducati MTS 1000 DS (also die Multistrada der ersten Generation) und in meinem Umfeld waren oder sind alle bisherigen Modelle im Einsatz, wovon ich alle auch schon selbst gefahren bin.
Die RS stand schon lange im Zentrum des Interesses, da die Multistradas bei uns auch auf der Rennstrecke eingesetzt werden und darum ganz speziell auch die sportlichen Eigenschaften der RS interessierten.
Am vergangenen Sonntag bin ich also hingefahren und nach kurzer Einweisung habe ich mich auf das Bike gesetzt.
Es war nass und ich habe den Race-Modus und DTC auf Stufe 1 (also mit noch einem minimalen Rest an Traktionskontrolle) eingestellt, zudem ABS auf sportlichster Stufe. Ich wollte genau spüren können, was die Maschine kann und wie sie sich verhält mit minimalem Fallschirm.
Beim Aufsitzen fallen folgende Punkte auf:
- Der «Tank», also eher die Abdeckung der Airbox, baut sich erheblich vor dem Fahrer auf.
- Weiter ist der Lenker natürlich zu breit (was aber angepasst werden könnte) und sehr zum Fahrer gekröpft. Was dabei auffällt sind die hohen «Riser», die aber notwendig sind, da sonst die Steuerung des aktiven Fahrwerks keinen Platz hätte.
Beim Losrollen zeigt sich die RS sehr sanft. Generell werde ich mich während und nach diesen 45 Minuten fragen, wo denn bitte die 180 PS geblieben seien. Aber dazu später mehr.
Die Strassen sind schmutzig vom Alpaufzug und vom Winter und Salz zerschlissen.
Darum bemerke ich, dass das Fahrwerk hervorragend arbeitet. Wirklich erstaunlich, wie die Gabel und das Federbein die Unebenheiten wegbügeln und trotzdem voll transparent agieren. Das mit dem Wegbügeln kann das Skyhook auch, das mit dem Transparent dann doch eher weniger.
Hier sind die Teile von Oehlins per se schon mal den ganzen Preisaufschlag zur S wert. Das Fahrwerk bietet das Gefühl des «fliegenden Teppichs» mit einer erstaunlichen Transparenz.
Die ersten Kurven im Nassen noch etwas vorsichtig durchrollt (ich vertrauen im Nassen den Pirelli nicht) geht das danach auf die erste Haarnadel zu. Und hier zeigen die Stylema-Bremssättel der Brembo-Bremsen, was sie drauf haben. Ich bin kein Fan von ABS-unterstützten Bremsen, aber die Bremsen sind trotz ABS bissig und haben einen schönen, präzisen Druckpunkt. Sehr gut gemacht.
Nach 3 Haarnadeln-Kurven geht es mit offenen Kurven weiter. Es ist weiter nass. In die zweite Kurve muss ich leicht anbremsen in Schräglage und das ABS greift ein. Ich bin überrascht, da ich nur ganz sanft gebremst habe, um die Gabel vorzuladen, bevor ich die RS in die Kurve schwinge. Einige Kurven weiter geschieht dasselbe nochmals. Mir kommt ein Verdacht. Untersteuert die RS? Im Nassen lässt sich das ja zum Glück einigermassen einfach ausloten und tatsächlich: Die RS untersteuert. Nicht viel, aber mir schon zu viel.
Was zudem auffällt ist, dass wenig Gewicht auf der Vorderachse ankommt. Man muss schon sehr bewusst über die Ellbogen in die Kurve reingehen, was aber mit dem originalen, sehr breiten, Lenker kaum zu machen ist.
Und was Aggregat?
180 PS bei 12’250 U/min, 118 Nm Drehmoment bie 9’500 U/min … wer einen Drücker à la den Ducati 1100 und 1200 (bis Jahrgang 2015) bzw. 1260 erwartet hat, der kann das gleich vergessen.
Die RS will, nein, MUSS gedreht werden, um richtig Spass zu machen und zu zeigen. Im Nassen ist das allerdings nur sehr bedingt lustig. Dort überzeugt sie mehr mit der sehr linearen Leistungsentfaltung. Und dennoch: Eine Schippe mehr Drehmoment wünscht man sich doch sehr oft. Natürlich: Es ist sexy, eine der letzten Desmo-Ducatis zu fahren. Aber die kommte man voll auf der Drehmoment-Welle reiten. Die RS muss eher immer wieder in die Drehzahl gedrückt werden, wo sie ab 7’000 U/min mit dem Feuerwerk beginnt, dass sie dann ab 9000 U/min so richtig abfeiert und -feuert.
Im Nassen kann man mit dieser entschärften Gangart gut umgehen, dank der linearen Leistungsabgabe. Ab im Trockenen dürfte man sehr schnell sehr viel zu schnell unterwegs sein, speziell dank der irre kurzen Übersetzung. Was hier hervorsticht ist die im Vergleich zum neuen Non-Desmo-Motor geradezu irre Drehfreudigkeit des Motors.
Wie gesagt: Die Übersetzung ist kurz, daran kann es auch liegen.
Was aber irritiert, ist die Gasannahme des «Drive-by-Wire»-Systems. Hier leistet sich die RS gefühlt 2 Gedenk-Zehntelsekunden, um dann den Gasbefehl in Vortrieb umzusetzen (Modus Race, DTC Stufe 1). Ich persönlich mag eine solche Verzögerung nicht und das irritierte mich Mal um Mal. Ich muss das mal an einer Pikes Peak ausprobieren, ob das da auch so ist.
Was kriegt man so für’s Geld? Die RS ist ja kein preisgünstiges Motorrad. In der Schweiz sollen für die RS mindestens 38’690 CHF bezahlt werden. Gegenüber der Pikes Peak sind das 6’000 mehr. Natürlich, der Desmo-Motor ist schon mal viel Wert, hat aber nur 10 PS mehr, dafür rund 6Nm weniger Drehmoment, die dann auch noch später anstehen.
Klar, etwas mehr Carbon gibt es auch, und das Titan-Heck. Aber schon der hintere Kotflügel aus Carbon muss mit 310 CHF zusätzlich bezahlt werden. Auch die chicken Griffschalen kosten extra. Und die hässlichen seitlichen Plastikteile der Kühler und die Flaps unten gibt es weder für Geld noch gute Worte in Carbon. Und so bleibt die RS das, was die normale V4 Multistrada auch ist: Ein Plastikbomber.
Mein Fazit:
Die RS ist IMO ein Blender. Sie suggeriert Sport, ja sogar Track-Readiness, aber das tendenziell untersteuernde Fahrwerk und der hohe Lenker lassen sowas engagiert gar nicht zu. Dank dem Oehlins-Fahrwerk mit Smart EC 2.0 liegt die Fuhre zwar gut, aber ein manuelles Überarbeiten des Fahrwerks (Anheben Heck) wird dann schon schwierig, nur das Durchstecken der Gabel könnten helfen, um mehr Gewicht auf die Front zu kriegen. Aber dann geht auch sofort wieder die Schräglagen-Freiheit flöten.
Ich mag neutrales Fahrverhalten, auch leichtes Übersteuern ist OK. Auf der Bremse aber sollte es weitgehend neutral sein. Mir scheint aber, dass das die RS nicht bieten kann. Wer schnell reisen will, ist mit der RS gut bedient, aber entspannt wird das nicht sein, da man dann ständig am Quirl drehen muss, um die Drehzahl hochzuhalten. Sonst kann es dann sein, dass dann plötzlich eine 1200er Multistrada der ersten Generation wassergekühlt entspannt vorbei- und wegzieht.
Wer aber zeigen will, dass er sich was Teures leisten kann, ist mit der RS gut bedient. Um schnell gefahren zu werden, braucht es eine Metallsäge, um den Lenker schmaler zu machen und viel Mut.
Beste Grüsse
Sam